Damit die Firmen hierzulande etwas abbekommen von den großen weltweiten Investitionen ins Klima, müssen sie schneller werden, heißt es. Eine Möglichkeit dazu ist die weitere Digitalisierung und Automation der Entwicklungs- und Produktionsprozesse. Über Details dazu sprach H & E mit Dr. Georg Wünsch, Gründer und Geschäftsführer des Simulationsexperten Machineering GmbH & Co. KG in München.
H & E: Herr Dr. Wünsch, bevor wir zu den technischen Fragen kommen, wie ist denn machineering durch die schreckliche Pandemiezeit gekommen?
Dr. Wünsch: Ähnlich wie die Maschinenbauunternehmen waren wir es gewöhnt, mit unserem Team im Büro zu arbeiten. Die ersten Hinweise auf Covid-19 gab es dann schon Weihnachten 2019, konkreter im Januar 2020. Dann sind trotzdem viele nochmals in den Skiurlaub gefahren. Als dann die Hinweise auf das neue Virus so konkret und dicht wurden, haben wir machineering innerhalb von einer Woche auf kompletten Home-Office-Betrieb umgestellt. Wir haben unseren Mitarbeitern auch geholfen, die nötige Ausrüstung zu bekommen und in Betrieb zu nehmen. Das war schon eine Herausforderung, hat aber letztendlich gut funktioniert.
Bald haben wir festgestellt, dass wir unseren Maschinenbauern auch helfen müssen, die eine ähnliche Situation zu bewältigen hatten. Dafür konnten wir innerhalb kürzester Zeit ein Home-Office-Paket aufstellen und den Kunden damit kostenlos Unterstützung anbieten, was sehr gut ankam. Dadurch haben wir sehr vielen Maschinenbauunternehmen helfen können. Zudem blieb damit auch der Dialog mit unseren Kunden erhalten. Manche haben auch neue Lizenzen bei uns bestellt – damit hatten wir gar nicht gerechnet. Wir sind somit nach einer anfänglichen Schrecksekunde, glatt durch die Krise hindurchgefahren. Natürlich haben auch wir Umsatzeinbußen hinnehmen müssen, aber wir konnten die Krise ohne Kurzarbeit oder dergleichen bewältigen.
Und jetzt?
Jetzt zieht die Wirtschaft wieder an. Das spüren auch wir. Stück für Stück kehren unsere Mitarbeiter ins Unternehmen zurück, aber nicht alle. So mancher wird weiter im Remote-Betrieb von zu Hause aus tätig sein. Denn das haben wir in der Krise gelernt: Arbeit im Home-Office ist deutlich produktiver als anfangs gedacht.
Nun zur Technik: Im Frühjahr hielt der amerikanische Präsident Joe Biden einen weltweiten Klimagipfel ab. An dessen Ende wurde gesagt, Amerika will in den nächsten Jahren 2 Billionen Dollar in den Klimaschutz investieren. Und am Abend fragte man bei uns im Fernsehen, wie können wir denn was davon abgekommen? Die Antwort war: Schneller werden! Also, was kann die digitale Fabrikplanung und konkret Ihr Unternehmen dazu beitragen?
Ich bin davon überzeugt, dass wir etwas beitragen können. Um konkreter zu werden: Im ersten Schritt müssen die Zielbranchen identifiziert werden, in die zukünftig investiert werden wird. Da ist beispielsweise die Holzbranche. In Zukunft werden viel mehr Holzhäuser gebaut werden als aktuell. Andererseits gibt es beim Holz heute schon Engpässe. Die Frage ist also: Wie kann ich die Prozesse so effizient gestalten, dass mit den vorhandenen Ressourcen mehr erreicht werden kann?
Unter anderem ist es dabei wichtig, das Wissen der Menschen in Unternehmen in ein reproduzierbares Format zu bringen – also raus aus den Köpfen, digitalisieren und wiederverwendbar machen.
Damit wären wir dann ganz klar bei der Konfiguration.
Ganz genau. Das Wissen muss erfasst, geordnet und bereinigt werden und dann über Regeln in einen Konfigurator „gepackt“ werden. Das betrifft die Mechanik, die Elektrik wie auch die Software. Wenn das gelingt, ist ein deutlicher Beschleunigungsfaktor zu erwarten. Das betrifft natürlich nicht nur die Holzbranche, sondern auch den Bau von Windkraftwerken, Sonnenkraftwerken, Biomassekraftwerken usw. Der schon laufende Umstieg auf Elektrofahrzeuge könnte ebenfalls in dieser Hinsicht gesehen werden.
Also lange Rede, kurzer Sinn: unsere Branche wie auch konkret wir selbst, haben vieles zu bieten, um der Industrie zu helfen, schneller und klimaeffektiver zu werden.
Sie haben ja als machineering schon einen schönen Weg hinter sich, vom 3D-Modell über die Simulation, bis zur virtuellen Inbetriebnahme; und die Software hat sich als praxistauglich gezeigt. Wo bestehen aktuell noch Hemmnisse?
Ich denke, ein Teil der Hemmnisse bestehen noch immer in „altem Denken“. Das zähe Festhalten an Abteilungen, etwa mechanische Konstruktion, elektrische Konstruktion, Software-Entwicklung und das Suchen nach Suboptima, statt das große Ganze im Blick zu haben, das kostet viel Energie in den Unternehmen. So viel Energie, dass für übergeordnetes mechatronisches Denken keine Zeit mehr bleibt.
Es gibt Beispiele, wo es wunderbar funktioniert, wo auch Tools für eine Gesamtsystemplanung eingesetzt werden. Davon kann man nur lernen.
Als machineering versuchen wir mit unserer Simulationssoftware iPhysics den Bearbeitern im Feld eine Gesamtsicht zu bieten und dadurch die Lücken zwischen den Bereichen Mechanik, Elektrik und Software zu schließen. Das stellt den einen oder anderen sicher vor neue Herausforderungen, bietet auf der anderen Seite aber gleichzeitig viele Chancen.
Ich glaube, es wird auch im Maschinenbau wichtig sein, dass das Verständnis für Prozesse, für Abläufe, gestärkt wird, wie auch für die Programmierung. Langfristig werden wir mit unserer Industrie nur dann Gewinner sein, wenn das prozessorale Denken Eingang findet.
Wie stehen wir heute mit dem Digitalen Zwilling da? Vor zwei oder drei Jahren ein ganz heißes Thema. Nimmt ihn die Industrie mittlerweile an?
Der Digitale Zwilling hat ja viele Facetten, z. B. als „Instrument“ um Services zu bieten, wie etwa Maschinenbeobachtung und Zustandsüberwachung. Das kann auch unkompliziert ortsunabhängig geschehen, so dass kein Servicemitarbeiter im Störungsfall schnell anreisen muss, um festzustellen, was da los ist.
Und ich denke, mittlerweile hat jeder verstanden, wie so etwas in vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen Maschinenhersteller und Maschinenbetreiber geregelt werden kann. Ohne Vertrauen wird es nicht gehen, denn schließlich werden viele Daten von der Maschine oder einer Anlage abgezogen und über weite Distanzen evtl. sogar über Kontinente hinweg verlagert.
Der Datenaustausch erfolgt dann über das Internet und eine Cloud, oder wie?
Hier scheint es mir wichtig zu sein, dass der Datenaustausch über Standardformate erfolgt, bis hin zu Realtime-Möglichkeiten. Dann eben fließen diese Daten auf einen Edge- oder Cloudserver, wo sie von überall auf der Welt eingesehen werden können.
Ein weiteres spannendes Thema, um schneller zu werden, ist die virtuelle Inbetriebnahme. Damit allein kommt man aber wohl auch nicht zur vollständigen Inbetriebnahme. Praktiker sprechen von einer Art hybriden Inbetriebnahme, nämlich digital und „händisch“.
Ja, das ist wohl die Kunst, dass man an der richtigen Stelle der Inbetriebnahme vom digitalen Prozess abbiegt und die Sache dann persönlich fertig stellt. Nehmen wir als Beispiel eine Keks-Produktion. Wenn die Kekse dann an einer Stelle von einem Roboter vom Band gepickt werden, lässt sich der Picking-Algorithmus gut digital entwickeln. Aber ob der Keks bei bestimmten Fett-/Schokoladengehalten am Greifer hängen bleibt, lässt sich wohl eher besser am Gerät über reale Tests ermitteln. Welche Mischung zwischen virtueller und analoger Inbetriebnahme die richtige ist, bleibt den jeweiligen Betrieben überlassen.
Mittlerweile gibt es Maschinenhersteller, die keine Maschine mehr ohne virtuelle Inbetriebnahme ausliefern. Diese fühlen sich einfach sicherer, wenn die Maschine zunächst simuliert worden ist.
Glauben Sie, dass die hier geschilderten Möglichkeiten auch in Unternehmen der Umwelttechnik eingesetzt werden können, um dort den nötigen Speed für die Zukunft zu erzeugen?
Ja, das geht, wenn die Verantwortlichen dort bereit sind, die nötigen Schritte zu tun. Das was heute noch „händisch“ erzeugt wird, die 3D-Modelle, die elektrischen Schaltungen und die Steuerungen, das kann man über Regelsätze auch in Konfiguratoren einbauen. Und wenn die Konfiguratoren einmal stimmen, dann erzeugen sie immer korrekte Varianten, mit allen Dokumenten, die nötig sind. Diese Erstellung der Konfiguratoren ist nicht trivial, es sind die besten Köpfe eines Unternehmens gefordert, aber wie gesagt, wenn's einmal läuft, dann läuft's.
Ein vollständiges Simulationsmodell, in dem alles berücksichtigt ist, mechanisches Layout, Abläufe, Steuerungstechnik, elektrische Geräte, kann ich auch umsetzen in einen Konfigurator. Ein Konfigurator kann an der richtigen Stelle im Ablauf die Simulation anstoßen oder umgekehrt.
Ob ein Konfigurator korrekt arbeitet, muss natürlich überprüft werden. Mit Hilfe der Simulation kann das sehr früh geschehen und nicht erst wenn die Maschine am Ende läuft wie sie soll, oder eben auch nicht.
Mit Hilfe der hier nur angedeuteten Methoden können die Unternehmen schneller werden und die dadurch erzeugten höheren Gewinne wieder in Innovationen stecken. Das wäre also der Weg, um bei großen internationalen Projekten dann auch erfolgreich zu sein.
Herr Dr. Wünsch, vielen Dank für das Gespräch.
Über Machineering Die Machineering GmbH & Co. KG, mit Sitz in München, entwickelt mit der Simulationssoftware iPhysics innovative Softwarelösungen für die Echtzeit-Materialfluss- und Robotersimulation. Das Expertenteam berät Unternehmen zu allen Themen rund um die Visualisierung und Simulation in den Bereichen Entwicklung, Vertrieb und virtuelle Inbetriebnahme. Die 3D-Simulation komplexer Materialflüsse und mechatronischer Produktionsanlagen Maschinen- und Anlagenbau. So lassen ich über die 3D-Simulation und das virtuelle Prototyping von Anlagen deren Entwicklung und Konstruktion beschleunigen und absichern. In der Projektakquise können geplante Anlagen im Dialog mit dem Kunden vertriebswirksam visualisiert werden. www.machineering.de
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