Wer, wie der Unterzeichner schon ein paar Jahre mehr auf dem Buckel hat, kann sich noch gut erinnern, wie – nach all der Zeit mit CAD & CAM & PDM – PLM mit Pauken und Trompeten angekündigt wurde. Geradezu hymnisch, als neuer Glücklichmacher – zumindest für Ingenieure. Jetzt, nach 20 Jahren oder mehr, scheint es das doch nicht gewesen zu sein. Das Glück ist nicht so recht eingetreten. Was denn nun? Nun kommt Agiles Engineering. Aucotec hat anlässlich seiner Pressekonferenz Mitte September Einblicke aus seiner Sicht gegeben.
Wie am Anfang von PLM, scheinen die Deutungshoheit, die Unternehmensberater zu haben. Jedenfalls, wenn man das Thema bei Google eingibt, tauchen fast nur solche auf.
Umso wertvoller, wenn nun ein Industrieunternehmen auf die Bühne tritt: Aucotec. Folgendes wurde im Kontext der Pressekonferenz Mitte September veröffentlicht:
Wie Aucotecs agiles Engineering Prozesse erheblich beschleunigt
Engineeringprozesse immer stärker zu parallelisieren, ist längst erzwungene Realität. Die Aucotec AG, Software-Entwickler seit über 35 Jahren, setzt dafür jetzt neue Maßstäbe. Mit „agilem Engineering“ will das Unternehmen Planer befähigen, die simultane Kooperation verschiedener Gewerke und Disziplinen in Maschinen- oder Analgenbauprojekten deutlich effizienter und effektiver zu beherrschen. Bislang büßen Unternehmen viel Zeit und Datenqualität in der Änderungsfalle ein, die dadurch entsteht, dass die notwendige Parallelisierung der Prozesse mit Toolketten versucht wird, die eigentlich nur für Wasserfall-Prozesse geeignet sind.
„Den“ Wasserfall-Prozess gibt es schon lange nicht mehr. Kein Planer kann so lange warten, bis der vorherige Projektschritt ganz abgeschlossen ist. Also fängt er ohne die Ergebnisse der Nachbar-Disziplin in seinem Tool an. Ebenso verfahren die anderen Fachbereiche. Das erfordert immer wieder interdisziplinäre Abgleiche. Dazu kommen unvermeidlich Korrekturen von außen durch veränderte Kundenwünsche oder Rahmenbedingungen, mit Auswirkungen auf alle Disziplinen. So entsteht ein langwieriger, fehleranfälliger Kreislauf von Änderungs-Übertragungen. Noch komplizierter wird es bei parallelen „Wasserfällen“, wobei die neue Version eines freigegebenen Prozessschritts bearbeitet wird, während andere noch auf Basis einer früheren Freigabe weiterentwickelten.
Datenpool sichert Informationsfluss
So ist das Wasserfallmodell nicht nur wegen zu langer Wartezeiten „out“ sondern auch, weil Wasser nun mal nicht bergauf, also rückwärts fließt – und Toolketten nur einen vorgegebenen Ablauf unterstützen. Deshalb entwickelte Aucotec die Kooperationsplattform Engineering Base (EB). Sie vereint sämtliche Kerndisziplinen der Maschinen- und Anlagenplanung in einem System. Ihr zentrales Datenmodell sorgt dafür, dass jede Änderung jeder beteiligten Disziplin sofort für alle sichtbar ist und sich unmittelbar weiterbearbeiten lässt. Um im Wasserbild zu bleiben: Das Modell ist wie der Teich, in dem sich durch jeden neuen Wassertropfen Wellenkreise ausbreiten. Genauso erreicht jede Eingabe in EBs Single Source of Truth sofort jede Disziplin – existenzielle Voraussetzung für das Beherrschen komplexer Szenarien.
Parallel wird agil
Mit einer Reihe von Neuerungen hat Aucotec EB jetzt so optimiert, dass der nächste Schritt, agiles Engineering, möglich ist. Neben dem etablierten Data Tracking mit kompletter Änderungshistorie, in dem sich individuell konfigurieren lässt, welche Änderungen man sehen möchte, gibt es eine Rechtevergabe auf Attributebene, worin definiert wird, wer welchen Status sehen und bearbeiten darf. Das funktioniert nur, weil bei EB Daten statt Dokumente im Zentrum stehen. Restriktive Rechte, die sich auf Objekte beziehen, sind hier nicht zielführend, da es jedes Objekt nur einmal gibt, aber verschiedene Disziplinen daran arbeiten, auch parallel. Ein Prozessingenieur bearbeitet eine Pumpe ebenso wie der Electrical-Experte, nur eben andere Aspekte. In EB ist Gleichzeitigkeit Programm.
Zudem sind die Daten und die gesamte Anlagenstruktur gegen versehentliche Änderungen geschützt. Das gilt unterhalb von Objekten ebenso wie nach oben („glue to parent“). Nur mit dieser disziplinübergreifenden Sicherheit, die kein „Einfrieren“ von Daten erfordert, wird agiles Arbeiten möglich. Mit kontinuierlicher Sichtbarkeit der Fortschritte in den Nachbardisziplinen und unmittelbarer Nutzbarkeit neuer Daten für die eigenen Aufgaben. Die damit viel engere Verzahnung der Disziplinen macht Warezeiten und Änderungs-Pingpong überflüssig und bringt enormen Effizienzgewinn. Zudem ist während der Planungsphase die Modifizierung eines Anlagenbauprojekts jederzeit möglich: Was vor ein oder zwei Jahren angedacht war, muss nicht zwangsläufig umgesetzt werden. Neue Erkenntnisse sind im laufenden Prozess kontinuierlich und schnell, also agil, umsetzbar. Das Ergebnis: Die fertige Anlage ist State-of-the-Art, nicht vom vorletzten Jahr.
Gradmesser für Zukunftsfähigkeit
„Agiles Engineering ist eine langfristige Strategie“, erklärt Reinhard Knapp, Leiter Global Strategies bei Aucotec. „Das ist natürlich kein Muss, EB schafft auch ohne Agilität effiziente Kooperation. Aber die Eignung eines Systems zu agilem Engineering ist heute der Gradmesser für seine Zukunftsfähigkeit.“ Wer aufgrund des immer weiter steigenden Zeit- und Effizienzdrucks stärker parallelisieren und immer mehr Komplexität durch Industrie-4.0-Anforderungen, wie z. B. die explodierende Sensoren-Vielfalt, bewältigen muss, wer wachsen und in eine Zukunft investieren will, von der man noch gar nicht genau wissen kann, wie sie aussehen wird, der wird laut Knapp mit Toolketten und Synchronisations-Plattformen bald an deren Grenzen stoßen. EB sei zurzeit das einzige System, das die Basis für agiles Engineering bietet. „Da ist die Zukunft schon drin“, betont Aucotecs Chefstratege Reinhard Knapp.
Also – ob das wirklich alles so kommt? Dass sich die Zeiten schnell ändern, das erleben wir jetzt gerade. Wer wirklich große Produktivitätssprünge machen will, der sollte ernsthaft über das Thema Konfiguration nachdenken: Mit Hilfe von Regeln bzw. Regelsätzen Konfiguratoren aufbauen, die dann die Arbeit – mehr oder weniger – automatisch erledigen. Das geht auch für ECAD-Umgebungen inkl. dem Aufbau von SPS-Programmen. Dass sich die klassischen CAD-Anbieter damit schwer tun, ist klar. Da ist kurzfristig nicht so viel Umsatz zu machen, wie beim Lizenzverkauf. Aber auf Dauer wird es kommen müssen. Und ich denke, die Zukunftsfähigkeit von CAX-Systemen wird sich danach bemessen, wie gut sie mit Regeln umgehen können. So Long.
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